PROTEINURIE



Nichtinvasive Diagnostik von Nierenerkrankungen:

Differentielle klinische Bewertung der
Proteinurieformen



Jürgen E. Scherberich


Angelehnt an eine  Übersichtsarbeit, erschienen in:
Der Bayerische Internist

                                                www.prof-scherberich.de

 

 






Einleitung

Die vermehrte Ausscheidung von Eiweißkörpern im Harn ist kardinales Zeichen einer Nierenerkrankung (3, 8 ). Eine Proteinurie liegt vor, wenn die Eiweißausscheidung über 200- 300 mg/ Tag beträgt. Bis auf Sonderformen der Proteinurie muß der Hintergrund einer wahrscheinlichen Nierenbeteiligung, insbesonders in Verbindung mit einem sog. "aktiven Harnsediment" (Erythrozyturie, Leukozyturie, Zylinder), umgehend nephrologisch abgeklärt werden.
"Nephrologisch" bedeutet die Einschaltung eines Internisten mit der Gebietsbezeichnung Nieren- und Hochdruckkrankheiten (Nephrologe).
Nicht selten werden Patienten mit Proteinurie zu einem "Urologen" überwiesen, der als Chirurg jedoch hierfür zunächst nicht der geeignete Ansprechpartner ist.
Bei isolierter Ausscheidung roter Blutzellen im Harn (Mikrohämaturie/ Makrohaematurie) o h n e Proteinurie ist dagegen eine zusätzliche urologische Abklärung sinnvoll, da hier neben Nierenerkrankungen (z.B. sog. IgA-Nephritis) und einer Urogenitaltuberkulose auch Tumore der Niere und der ableitenden Harnwege ausgeschlossen werden müssen. Der Urologe wird unter diesen Bedingungen mit invasiven Verfahren ( z.B. Blasenspiegelung, Prostatapunktion/ Prostatastanze) die Haematurie abklären.
Ist die Haematurie mit einer Proteinurie k o m b i n i e r t, so liegt meist eine Nierenerkrankung vor, die zuerst vom Internisten erkannt und behandelt wird.

Die klinische Bewertung der Proteinurie (Abkürz.: PU) hat sich seit den letzten Jahren grundlegend geändert ( 2, 3, 4, 6, 14 ; Tabl. 1 ).

Proteinurie ist nicht nur als "Epiphenomen" zu sehen, sondern ist ein selbständiger pathogenetisch wichtiger Faktor in der Progression einer Nierenerkrankung (Tabelle 2 ).
Hinzu kommt, daß die Art der an einer PU beteiligten Eiweiße Aufschluß über die mögliche renale Grunderkrankung geben kann (Glomerulonephritis, interstitielle Nephropathie). In der Stufendiagnostik einer Nierenerkrankung ist insbesonders die Kenntnis des Musters der PU essentiell (5, 8, 13,16).

Definition und Grundlagen

Eine Eiweißausscheidung über ca 200 mg/ 24 Stunden (bezogen auf ein Harnvolumen von 1.5 Liter) ist klinisch relevant. Eine PU darf nur zusammen mit dem übrigen Harnstatus (Harnsediment) beurteilt werden.
Die PU kann klinisch unbedeuted sein (physiologisch, "funktionell"; Tabl. 3) . Werden dagegen 1.5 Gramm/24 Std. bei Kindern und 3.5 Gramm/24 Std. bei Erwachsenen überschritten, so handelt es sich um eine "große Proteinurie".
Kritisch ist, daß die häufig in der Praxis zunächst angewandten Bestimmungsmethoden nur einen Teil der Eiweiße erfassen. Einige Grunderkrankungen würden hierbei nicht erkannt: So bliebe bei einer Leichtketten-PU (im Grammbereich) die monoklonale pathologische Bildung von Immunglobulinbruchstücken, die in hohen Konzentrationen im Harn erscheinen können, mit den Screening-Methoden (Sticks-Tests) oder in der Gesamtproteinbestimmung (Biuret-Methode, Lowry-Methode, Proteinfällungsmethoden) sehr wahrscheinlich unerkannt. Kleinmolekulare Proteine unter einem Molekulargewicht von 40-30.000 Dalton werden nämlich unzureichend oder nicht mit diesen Laborverfahren detektiert.
Typischerweise ist die PU asymptomatisch. Patienten werden durch die Schaumbildung des Harns während der Miktion erstmals aufmerksam. Bleibt die Schaumbildung nach Schütteln einer Harnprobe im Reagenzglas mit einer Höhe von über 3 mm stabil, ist eine Proteinurie wahrscheinlich.

Von der betroffenen "Lokalisation" wird eine prärenale PU von einer renalen und postrenalen PU unterschieden (Tabl. 4).

An der PU beteiligt sind: Serumeiweiße, insbesonders Albumin und Transferrin, niereneigene Proteine und Proteine der ableitenden Harnwege (siehe Tab. 5 ).
Berücksichtig wird nicht nur die absolute Menge Eiweiß im Harn, sondern die Art der molekularen Zusammensetzung, d.h. der Anteil hoch-, mittel-, und kleinmolekularer Proteine.
Mittel- bis hochmolekulare Serumproteine wie Albumin, Transferrin, IgG, IgM, etc erscheinen im Harn, wenn das Siebverhalten der glomeruläre Basalmembran gestört ist (verminderte Permselektivität). Die "Durchlässigkeit" der glomerulären Basalmembran gegenüber Serumproteinen hängt jedoch nicht nur von deren Molekülgröße (od. Radius) ab, sondern auch von deren Form. So werden globuläre Proteine (Albumin) leichter filtriert als "filamentäre" (z.B. Fibrinogen). Die Basalmembran der Glomeruli ist jedoch nicht nur ein Molekülgrößenabhängiger Filter, sondern auch ein ladungsselektiver Filter (Modelle: siehe 9). Positiv geladene Serumproteine (kationische Proteine) permeieren die Basalmembran leichter als negativ geladene Serumeiweiße (anionische Proteine). Die glomeruläre Basalmembran selbst enthält als elektrische Ladungsbarriere gegenüber Serumproteinen fixe negative Ladungsträger (sog. "glomeruläres Polyanion"). Bei Nierenerkrankungen wie z.B. der minimal-change-Glomerulopathie, bei Immunkomplex-Nephritiden und der Glomerulopathie bei Diabetes mellitus verliert die glomeruläre Basalmembran diese gebundenen Anionen, die als "elektrisches Maschengitter" die Bluteiweiße an einem Durchtritt durch die Basalmembran der blutfilternden Kapillarschlingen (d.h. der Glomeruli) hindern.
Die resultierende großmolekulare PU ist daher vom "glomerulären Typ". Sie betrifft den Filtrationsapparat.

Proteinurie und Nierenfunktion

Über den Nachweis einer PU darf nicht auf die Nierenfunktion (z.B. glomeruläre Filtrationsrate, Kreatinin-clearance) geschlossen werden. Eine PU schweren nephrotischen Ausmaßes ( > 20 gr/24 Std) kann mit einer normalen Kreatininkonzentration im Serum einhergehen. Allerdings ist eine hohe Ausscheidung an IgG bei membranöser Glomerulonephritis ein Prädiktor für einen progredienten Verlauf, d.h. zeigt einen wahrscheinlichen späteren Funktionsverlust an (12 ). Umgekehrt gilt, daß eine chronisch kompensierte Niereninsuffizienz (z.B. Kreatinin im Serum 5 mg/dl) nur eine vergleichsweise geringradige PU aufweisen kann. Typisch hierfür ist z.B. die Analgetika-Nephropathie oder andere Formen toxischer und/oder tubulointerstitieller Nierenerkrankungen. Ähnliches wurde über manche Patienten mit systemischem Lupus erythematodes berichtet, die bei geringer PU dennoch ausgedehnte histologische Veränderungen im Nierenbioptat zeigten. Liegt bei großer PU eine eingeschränkte glomeruläre Filtrationsrate vor, so geht bei weiterer Verschlechterung der Nierenfunktion die PU i.A. zurück, da die Zahl ultrafiltrierender Nephrone abnimmt. Patienten mit Nierenamyloidose eliminieren jedoch auch noch in oligurischen Stadien häufig erhebliche Proteinmengen ( 20- 40 Gramm /Tag).
Die Proteinurie begünstigt auf Dauer die progrediente Verschlechterung der Nierenfunktion. Die Tubulusepithelien müssen sich vermehrt mit den hohen intraluminalen Proteinmengen auseinandersetzen. Das vermehrt filtrierte Eiweiß enthält z.T. toxische Komponenten, wie z.B. Komplementfaktoren, Eisen- und Kupferbindende Proteine. Andererseits induziert das vermehrt von den Tubuluszellen aufgenommene Eiweiß im Zellinneren die Bildung entzündlicher Mediatore bzw. von Signalstoffen, die Entzündungszellen wie Granulozyten und Monozyten/Makrophagen anziehen. Die durch erhöhte Proteinakkumulation in Tubuluszellen synthetisierten "proentzündlichen" Substanzen sind z.B. Interleukin 6 und zytoattraktive Zytokine ( = Chemokine), wie MCP-1- (Macrophagen chemoattraktives Protein) und RANTES (ein kleinmolekulares Peptid, das u.a. Makrophagen anzieht).

Präanalytik

Probenart: Unter ambulanten Bedingungen ist es am sinnvollsten, den sog. zweiten Morgenurin als spontan gelassenen Mittelstrahlharn, den weiteren Analysen zuzuführen (3,5,14). Die Probe eignet sich gleichermaßen für qualitative Tests (SDS-Elektrophorese, s.u.) wie für quantitative Einzelproteinbestimmungen, z.B. im Nephe-lometer (16). Angegeben wird der Protein-Kreatinin-Index, d.h. die Konzentrationen der Proteine in mg oder Gramm werden auf die Kreatininkonzentration des Harns (in mMol/L oder Gramm) bezogen. Damit wird der Verdünnungsgrad der Harnprobe berücksichtigt. Im großen und ganzen korrelieren jedoch die Protein-Kreatinin-Indizes im zweiten Morgenurin mit den Angaben mg/L recht gut. Harnproteinbestimmungen aus dem zweiten Morgenurin sind mindestens so zuverlässig wie in 24 Std. Sammelproben. Vorteile sind auch unkompliziertere (tägliche) Verlaufskontrollen unter einer Therapie (z.B. nach Einleitung einer Immunsuppression).
Stabilität: Die routinemäßig analysierten Harnproteine wie Immunglobulin IgG, Albu-min und alpha-1- Mikroglobulin sind über mehrere Tage in verschlossenem Gefäß auch bei Raumtemperatur stabil. Harnproben können also ungekühlt versandt werden. Für Bestimmungen auf Serumproteine dürfen die Urine nicht eingefroren werden, da beim Auftauvorgang viele Eiweiße denaturieren (insbesonders IgG). Für immunologische (z.B.nephelometrische) Untersuchungen wären die Ergebnisse deshalb unzuverlässig.

Proteinurie - Untersuchungsverfahren

Tabelle 6 gibt eine unvollständige Übersicht über die gebräuchlichsten Verfahren zur Proteinbestimmung in Harnproben (16). In der klinischen Routine kommen für die qualitativenAnalysen die Teststreifen, die Immunelektrophorese und Immunfixation (für Paraproteine) sowie die SDS-Polyacrylamid-Gradientengel-Elektrophorese (Abkürz.: SDS-Elpho) zur Anwendung. Die SDS-Elpho hat den Vorteil, daß das gesamte Spektrum im Harn eliminierter Proteine sichtbar wird (13,16, Abb. 1). Von den quantitativen Verfahren sind die Turbidimetrie und die Nephelometrie am verbreitetsten. Markerenzyme (z.B. ß-NAG) und Nierenproteine werden entweder enzymkinetisch oder mit Hilfe von ELISA bestimmt (7,14,15 ).

Standard Harnproteine und Normalwerte

Tabelle Nr. 7 fasst wesentliche Markerproteine und ihre oberen Normgrenzen bei physiologischer Ausscheidung zusammen. Bei Schwangeren kann im letzten Trimenon die Auscheidung an Albumin und alpha-1-Mikroglobulin um das Doppelte ansteigen, ohne daß eine Nierenerkrankung im engeren Sinn vorliegt. Im Rahmen einer ausgeprägten tubulären PU lassen sich regelhaft auch Leichtketten nachweisen (kappa-zu lambda Ratio 2: 1). Diese sind jedoch nicht monoklonaler, sondern stets polyklonaler Art. Zeigen sich in der Immunelektrophorese dagegen monoklonale An-teile (monophasisch deformiertes Präzipitat), so dominiert der jeweilige Paraprotein-Typ ganz erheblich die andere (polyklonale) L-Kette. Die Bestimmung von ß-2-Mikroglobulin ist wegen dessen Instabilität bei niedrigen pH -Werten nicht mehr üblich.
Nierenenzyme und andere renale Markerproteine wie das Tamm-Horsfall Glycoprotein spielen unter Routinebedingungen keine wesentliche Rolle, sind jedoch für klinische Studien brauchbare diagnostische Verlaufs-Parameter (7,14,15). Im Harn erscheinen zudem, je nach Nierenerkrankung, verschiedene Zytokine (Interleukin-6, Interleukin-8) und chemoattrahierende Proteine bzw. Peptide, die z.B. die Infiltration von Blut-Leukozyten in die Niere begünstigen. Ihre diagnostische und prognostische Wertigkeit ist noch offen.

Proteinurie und diagnostische Erwartungsgruppen

Aus dem Proteinausscheidungsmuster lassen sich gewisse Rückschlüsse auf die mögliche Grunderkrankung bzw. das betroffene Nierenkompartment ziehen: man spricht von sog. diagnostischen Erwartungsgruppen. Die grobe Einteilung in glomeruläre, tubuläre und glomerulotubuläre PU beinhaltet z.B. folgende Verdachtsdiagno-sen: Alle glomeruläre PU sind Folge einer Schädigung im Permselektivitätsverhalten der glomerulären Basalmembran gegenüber höhermolekularen Serumproteinen, kommen also bei entzündlichen und degenerativen Glomerulopathien vor. Eine geringgradige selektive glomeruläre Proteinurie, fälschlich als "Microalbuminurie" bezeichnet, ist als Vorstadium einer Nierenbeteiligung bei arterieller Hypertonie, metabolischem Syndrom, Diabetes mellitus, allgemein erhöhtem kardiovaskulären Risikoprofil, sowie Exposition mit Umweltgiften (organ.Lösungsmitteln) zu verstehen (10). In der SDS-Elpho erscheint die physiologische Albuminbande verstärkt, quantitativ werden konstant zwischen 20 - 200 mg/L Albumin ausgeschieden (Abb.1, Bahn Nr.8). Dieses Stadium ist potentiell noch behandelbar und rückgängig, z.B. durch Gabe von ACE-Hemmern bei Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie. Klassisch ist die selektive glomeruläre PU bei kindlicher Lipoidnephrose oder sog. minimal-change Glomerulopathie im Erwachsenenalter. Selektive glomeruläre PU sind prognostisch günstiger einzustufen, als unselektive PU mit zusätzlich höhermolekularen Komponenten. Primäre Nierenerkrankungen mit selektiver glomerulärer PU sprechen eher auf eine geeignete Therapie (z.B.Glucocorticoide) an. Man spricht dann von einer steroid-sensitiven Form (11). Glucocorticoide haben zwei Effekte: eine schnell eintretende nichtgenomische Wirkung, die das Energiepotential (die Stabilität der Zelle) bewahren hilft, und eine genomische Wirkung, die antientzündlich ist und erst nach einer Latenz einsetzt. Die antientzündliche Wirkung beruht u.a. auf der Hemmung der Neubildung von Entzündungssubstanzen wie Interleukin 1 und Interleukin 6. Außerdem regeln Glucocorticoide das Aktivierungsantigen CD14 (Endotoxinrezeptor) und die Bildung des CD16 Antigens ( Fc-Typ III Rezeptor) auf Monozyten und Makrophagen herunter ( siehe Literaturanhang).
Unselektive glomeruläre Proteinurien resultieren aus schweren Basalmembranschäden der Glomeruli, wobei praktisch alle hochmolekularen Eiweiße im Harn erscheinen. Häufig sind Immunkomplexablagerungen, proliferative Umbauvorgänge, Schlingensynechien, Halbmondbildungen der Bowman`schen Kapsel und progrediente Nephrosklerose. Die Prognose ist ungünstig, insbesonders dann, wenn zusätzlich eine tubuläre Komponente hinzukommt (1, 12). Das Muster ist dann eine unselektive glomeruläre PU mit einer kompletten tubuläre PU, Abb. 2 ). Diagnostische Erwartungsgruppen sind z.B. nekrotisierende Glomerulonephritiden bei Systemerkrankungen, wie Kollagenosen, anderen Vaskulitiden (M. Wegener), disseminierten intravasalen Gerinnungsstörungen (HUS), oder Amyloidose.

Interstitielle Nierenerkrankungen gehen mit einer tubulären Form der PU einher.
Je nach Ausmaß der interstitiellen Infiltrate, der Kapillardestruktion, der interstitiellen Fibrose und der Atrophie der Tubulusepithelien wird in der SDS-Elpho eine inkomplette von einerkompletten tubulären PU unterschieden (s. Abb. 1 ). Ursache ist die verminderte tubuläre Reabsorption frei glomerulär filtrierter kleinmolekularer Proteine, wie alpha-1-Mikroglobulin, Retinol-bindendes Protein, ß-2-Mikroglobulin oder auch Hämoglobin und Myoglobin. Eine Sonderform ist die Bence-Jones Paraproteinurie, die prärenal bedingt ist, jedoch per se Tubuluszellen schädigt, da viele monoklonalen L-Ketten zytotoxisch sind. Patienten mit Myelom und freien L-Ketten haben daher häufig in fortgeschrittenen Stadien eine komplette tubuläre PU, falls nicht zusätzlich eine Amyloidose besteht. Mit konventionelle Proteinbestimmungsmethoden ein-schließlich der Teststreifen wird eine tubuläre PU i.A. nicht entdeckt. Hier hilft die SDS-Elpho und die Individualproteinbestimmung (z.B. alpha-1-Mikroglobulin) durch Nephelometrie weiter. Eine tubuläre PU mit "steriler Leukozyturie" kann Hinweis auf eine Analgetika-assoziierte Nephropathie sein.
Beispiele von Proteinurie-Ausscheidungsmustern und möglichen diagnostischen Erwartungsgruppen zeigen die Abb. 1 sowie Tabelle 8, 9.

Proteinurie nach Nierentransplantation

Unmittelbar nach der Organübertragung herrscht innerhalb der ersten 5 - 7 Tage eine mäßige unselektive PU (und Mikrohaematurie) vor, bedingt durch Wundoberflächen. Das normal funktionierende Nierentransplantat hat typischerweise eine tubuläre PU, die sich bis auf eine geringradige Albuminurie weiter zurückbilden kann. Im Verlauf einer akuten Transplantatabstoßung wechselt das tubuläre Muster (das sich zusätzlich verstärkt) in das eines glomerulären PU Ausscheidungstyps. Bei chronischem Transplantatfunktionsverlust ("chronische Abstoßung") herrscht eine (unselektive) glomerulotubuläre PU vor.

Praktisches Vorgehen bei V.a. Nephropathie und PU

(3, 5, 8, 14).

1. Untersuchung des zweiten Morgenurins (Mittelstrahl-Urin) im Teststreifen:
Parallelansatz: Harnsediment
2. bei positivem PU- Befund: quantitative Bestimmung von IgG, Albumin, apha-1-
Mikroglobulin (Turbidimeter, Nephelometer)
3. bei negativem Teststreifen, aber klinischem V.a. Nierenbeteiligung (z.B. Myelom,
toxische Nephropathie, interstitielle Nephritis):
quantitativ: alpha-1-Mikroglobulin und/oder SDS-Elpho; bei V.a. Paraprotein
(prärenale PU): Diskrepanz zwischen hoher Gesamtweiweißausscheidung
(Fällungsmethode) und niedriger Albuminkonz. (Albumin/ Ges.Protein < 0.3):
Immunelektrophorese, Immunfixation.
4. Beurteilung der PU nur in Verbindung mit Harnsediment (Phasenkontrast -
mikroskopie): Erythrozyturie, Leukozyturie, Zylindrurie, Rundzellen, Erreger (Pilze,
Protozoen, massenhaft Bakterien) " Erythrozytenmorphologie (dysmorphe Eryro-
zyten").
5. bei V.a. postrenale PU : IgG, IgM, alpha-2-Makroglobulin, Apolipoprotein A-1,
Mikrohaematurie: keine dysmorphen Erythrozyten.

Zusammenfassung

Die moderne Harnwegsdiagnostik beinhaltet, neben Sedimentuntersuchung und Sonographie, die differenzierte Analyse der Proteinurie. Probe ist der zweite Morgenurin (Mittelstrahl). Das Muster der PU gibt wichtige Aufschlüsse über die mögliche Grunderkrankung, wie z.B. Formen der Glomerulonephritis, interstitielle Nephritiden, prä- und postrenale Proteinurien. Basisuntersuchungen sind der immunchemische Nachweis von IgG, Albumin und alpha-1-Mikroglobulin, jeweils bezogen auf die Kreatininkonzentration im Harn und u.U. ergänzt durch die SDS-Elektrophorese, Immunelektrophorese und/oder Immunfixation.


 

Tabelle 1

Klinische Aspekte der Proteinurie

1.

Vorliegen einer Nieren - oder Systemerkrankung

2.

zusätzlicher Progressionsfaktor der Nierenerkrankung

3.

Proteinurie-Muster kann Hinweis auf Art der Grunderkrankung geben (sog. diagnostische Erwartungsgruppe des Protein-Ausscheidungsprofils)

4.

in Verbindung mit "aktivem Harnsediment" (Erytrozyturie, Leukozyturie, Zylindrurie, Rundzellen etc.) umgehend weitere Diagnostik erforderlich, z.B. Nierenbiopsie.

 


 

Tabelle 2

Proteinurie als Progressionsfaktor der Nierenerkrankung

1.

Beladung (Akkumulation) von Eiweiß in glomerulären und tubulären Zellen induziert (Complement-bedingte) Zellmembranschäden und Störung des Ionengleichgewichts.

2.

Intrazelluläre Proteindepots führen reaktiv zur adaptativen Mehrsynthese lysosomaler Proteasen (Proteinasen) wie Kathepsin B und D; durch erhöhte proteolytische Aktivität zunehmende Instabilität der Nierenzellen (Nekrosen).

3.

Erhöhter zellulärer Proteintransit und Einweißablagerung bedingen Einwanderung von Entzündungszellen (Monozyten, Makrophagen) vom Blut in die Niere: PU induziert entzündliche Infiltrate über die tubuläre Synthese von Chemokinen

4.

PU induziert die Produktion extrazellulärer Matrixsubstanzen (Fibronektin, Kollagen IV) in Mesangium, Podozyten und Tubulusepithelien und fördert den interstitiellen Umbau (interstitielle Fibrose).

5.

Bei großer PU führen glomerulär filtrierte oxidierte Lipoproteine (Lipidurie) zu zytotoxischen Läsionen (Mesangium, Tubulusepithelien).

 


 

Tabelle 3

Physiologische und pathologische Proteinurie

1.) Funktionelle PU:

-

orthostatische PU (nur beim Stehen), Nephroptose,

-

bei Hyperthermie (Fieber), Hyperthyreose, körperliche Anstrengung (Leistungssportler), emotionellem Stress, Temperaturstress (Hitze, Kälte), Muskelkrämpfe, bei cardialer Insuffizienz,

-

Infusion mit bestimmten Aminosäuren (Lysin, Arginin), Hydroxiäthylstärke,

-

Schwangerschaft (bes.bei Vena cava Kompressions Syndrom)


2.) Persistiernde PU:

-

konstant abnorme Eiweißausscheidung; entzündl. und degenerative sowie hereditäre Nierenerkrankungen; Systemerkrankungen mit Nierenbeteiligung (Diabetes mellitus, Kollagenosen, Amyloidose, paraneoplastisch); Infektionserkrankungen (AIDS, Malaria; Sepsis, HUS) Nierenvenenthrombose schwere arterielle Hypertonie

 


 

Tabelle 4

Serumproteinurie und "Lokalisation"

Prärenale Form:

-

Normale Architektur der glomerulären Basalmembran

-

Hohe Syntheserate eines filtrierbaren mittel- bis kleinmolekularen Proteins im Serum (sog. Overflow-Proteinurie)

-

geringe tubuläre Verstoffwechslung des filtrierten Proteins (Überschreiten des tubulären Reabsorptionsmaximums); z.B. bei Paraproteinaemie mit IG-Leichtketten; Lysozymurie bei Leukaemien; freies Hämoglobin (bei Hämolysen), Myoglobin (Rhabdomyolysen).


Renale Form:

-

glomeruläre PU: PU hochmolekularer Eiweiße

-

tubuläre PU: Ausscheidung kleinmolekularer Proteine

-

glomerulo-tubuläre PU: Mischtyp bei glomerulären und interstitieller Nierenbeteiligung.


Postrenale Form:

-

normale Nierenmorphologie und Funktion,

-

Entzündliche Erkrankungen der ableitenden Harnwege (Pyelon, Ureteren, Harnblase, Urethra; zusätzl. Prostataerkrankungen); vermehrte IgG, IgA (sIgA), sIgM, alpha-2-Makroglobulin, Apolipoprotein A1 Ausscheidung; regelhaft Haematurie

 


 

Tabelle 5

Beispiele anteiliger Eiweiße einer Proteinurie

1.

Serumproteine:

hochmolekular:

alpha-2-Makroglobulin, Lipoproteine, IgM, IgG, IgA, Complement-Komponenten, Transferrrin

mittelmolekular:

Albumin, Präalbumin

kleinmolekular:

alpha-1-saures Glycoprotein, Retinol-bindendes Protein, alpha-1-Mikroglobulin, Immunglobulin-Leichtketten (lambda, kappa), Myoglobin, Cystatin C, beta-2-Mikroglobulin

2.


Nierenproteine:

Strukturproteine (Villin, Membranantigene)
Transportproteine (Na+/H+Austauscher, Glucose-Rezeptor)
Enzyme:
- Zytoplasma: Lactatdehydrogenase (LDH),
- Lysosomen: ß-Glucuronidase, ß-N-azetyl-Glucosaminidase,
- Bürstensaum (prox.Tubulus): Alanin-aminopeptidase
- Henle`sche Schleife: Tamm-Horsfall Uromucoid
- distaler Tubulus: Kallikrein

3.


Ableitende Harnwege:

Urokinase, lösl. Blutgruppenantigene, sekretorisches IgA (sIgA) u.U. entzündungsbedingt (Exsudat): IgG, IgA (sIgA), Lysozym; saure Phosphatase, Prostata-spezifisches Antigen.

 


 

Tabelle 6

Gebräuchliche Analyseverfahren zur Proteinurie

1.

Qualitative Verfahren

Teststreifen (Sticks), zT semiquantitativ

Sulphosalizylprobe (Trübungsverfahren)

Immunelektrophorese

Immunfixation

SDS-Polyacrylamid- Gelgradienten-Elektrophorese

2.


Quantitative Verfahren

(Immun-) Turbidimetrie (Einzelproteinbestimmung)

(Immun-) Nephelometrie (Einzelproteinbestimmung)

Biuret-Methode (u. Varianten)

Methode nach Lowry (Folin-Ciocalteau Reagenz)

Ponceau-Rot-Methode nach Trichloressigsäure Fällung

Methode nach Bradford (Coomassie-Brilliant-Blau)

Pyrogallolrot-Methode (Fujita )

Enzymkinetisch, ELISA: Nierenproteine


Fettgedruckt: verbreitete Routineverfahren

 


 

Tabelle 7

Standard Harnproteinmarker und Normalwerte

Protein-Marker

Gesamteiweiß

Immunglobulin M

alpha-2-Makroglobulin

Immunglobulin G

Transferrin

Albumin

alpha-1-Mikroglobulin

Mol.Gew.



900.000

725.000

157.000

88.000

67.000

31.000

mg/L

<200

< 10

< 2

< 14

< 16

< 50

< 20

mg/Gramm Kreatinin

<100

< 5

< 1

< 12

< 14

< 20

< 14

 


 

Tabelle 8

Proteinurie und mögl. diagnostische Erwartungsgruppen

1.

selektive glomeruläre PU

- Lipoidnephrose (minimal change Glomerulopathie)
- epimembranöse GN, Grad I
- Fokal segmentale GN, Grad I
- IgA - Nephritis (+ tub. Komponente)
- Initialstadium diabetische Nephropathie (MAU)
- art. Hypertonie, benigne Nephrosklerose (MAU)

2.


unselektive glomeruläre PU

- rapid progressive GN
- proliferative GN, (Vaskulitiden)
- membranoproliferative GN
- epimembranöse GN, Grad II-III
- fokal segmentale GN ( Grad II-III)
- EPH-Gestose
- AIDS-Nephropathie (USA)

3.


unselektive glomeruläre + tubuläre PU

- renale (AA) Amyloidose
- Gold-Nephropathie /D-Penicillamin-GN
- manifeste diabetische Nephropathie
- membranoproliferative GN,
- systemische Vaskulitiden mit Nierenbeteiligung
- akute Nierentransplantatabstossung

4.


tubuläre Proteinurie (inkomplett, komplett)

- "Pyelonephritis", interstitielle Nephritis
- Analgetikanephropathie
- Fanconi - Syndrom(e), renal tubuläre Azidosen
- HIV-Nephropathie (Europäer)
- Myelomniere
- Chromoproteinniere (Malaria tropica, Rhabdomyolyse)
- Tubulotoxine (Aminoglycoside, cis-Platin, Cd, Hg)

 

Abkürzungen: GN: Glomerulonephritis/Glomerulopathie; MAU= Mikroalbuminurie

 


 

Tabelle 9

Proteinurie als paraneoplastisches Syndrom

Glomeruläre Proteinurie

-

solide Tumoren: Magen, Lunge, Colon, Mamma

-

sek. Amyloidose bei Karzinomen der Niere, Schilddrüse, sek. Amyloidose bei Plasmozytom (5-10%)

-

Morbus Hodgkin, Immunoblastom, Lymphosarkom


Tubuläre Proteinurie

-

renale Tumorzellinfiltrate, bei CLL (50%), bei ALL (53%), immunoblastisches Lymphom

-

(32%)Paraproteinaemie + Leichtkettensynthese, u.U auch bei nichtsekretorischem Plasmozytom

 


 

Literatur

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Weitere eigene Literatur zur Thematik:

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Wirkung von Glucocorticoiden ( Zelluläre Mechanismen ):

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